Problemskizze: Verständigung

Erfolgreiche Verständigung ist Problemlösung.


Verständigung und Verstehen

Verständigung ist sozial und zielt auf Kompatibilität von Erfahrungen, Verstehen kann individuell sein und zielt auf Einordnen von Erfahrungen, Begreifen, Bilden von Zusammenhängen, Begründungen.


Verständigung funktioniert nicht immer leicht und quasi automatisch. Erfolgreiche Verständigung kann deshalb bereits als Problemlösung für sich angesehen werden. Zu kommunizieren bedeutet demnach, auf mehreren Ebenen simultan Probleme zu lösen: auf der Ebene der Verständigung und auf der Ebene der übergeordneten Handlungen.

Das einfachste Beispiel für eine problematische Verständigung ist die Verständigung zwischen Menschen, die eine verschiedene Sprache sprechen. Aber auch unter Gleichsprachigen kann Verständigung problematisch werden. Die Gründe liegen in Differenzen im Sprachgebrauch, in der Sozialisation und im „Weltbild“ (der individuellen Welttheorie).

Besonders schwer wird Verständigung in „kruzialer Kommunikation“ (Gerold Ungeheuer Pfeilsymbol: aus der Webseite heraus W-Symbol: Link zur Wikipedia). In kruzialer Kommunikation kann Verständigung ausschließlich über (z. B. sprachliche) Zeichenprozesse laufen. Es ist keine Unterstützung z. B. durch Zeigen auf Gegenstände möglich. In kruzialer Kommunikation kann der Eindruck entstehen, dass nicht Verständigung, sondern eher Missverständigung der Normalfall ist.

Verständigung funktioniert auch ohne korrekte Syntax (oder Grammatik).

Verständigung funktioniert auch ohne korrekte Syntax (oder allgemeiner: Grammatik). Sie ist sogar auf einer sehr rudimentären Basis noch möglich.

Umgekehrt: Wer die Regeln der Grammatik befolgt, wer korrekt spricht, erreicht damit nicht automatisch, dass der andere versteht. Dies wird insbesondere in kruzialer Kommunikation deutlich, zum Beispiel in einem Universitätsseminar. Das bedeutet auch, dass die Begriffe der Linguistik nicht ausreichen, um kommunikative Problemstellungen zu analysieren und zu erklären. Siehe dazu Gerold Ungeheuer (1974): Kommunikationssemantik, in: Ungeheuer (1987): Kommunikationstheoretische Schriften I: Sprechen, Mitteilen, Verstehen, Aachen.

Kompatibilität von Erfahrungen statt Identität von Bedeutungen


Kompatiblität (Vergleichbarkeit)

Kompatibilität (Vergleichbarkeit) von Erfahrungen reicht für Problemlösung durch Verständigung aus. Identität von Bewusstseinsinhalten oder Bedeutungen ist dafür nicht erforderlich.


Verständigung wird als ein sozialer Gesamtprozess angesehen, in dem auf Kompatibilität (Vergleichbarkeit) von Erfahrungen abgezielt wird. Sich zu verständigen zielt darauf ab, sich in vergleichbarer Weise auf die Welt zu beziehen.

Bei der Verständigung geht es nicht um Identität von Bedeutungen, Erfahrungen oder sonstigen „inneren“ mentalen Vorgängen (siehe dazu die Anmerkungen zur nichtdualistischen Sichtweise). Statt dessen lässt sich bei erfolgreicher Verständigung von einer Kompatibilität von Erfahrungen ausgehen, die sich im weiteren Handeln erweist. Wenn sich zwei für ein Treffen an einem Ort verabreden, dann spielt es für den Erfolg – sich am verabredeten Ort auch zu treffen – keine Rolle, ob beide über (auch nur annähernd) identische Erfahrungen über diesen Ort verfügen: Wie es dort aussieht, wie er sich anhört, wie es dort riecht, was dort geschehen ist und so weiter. Die Erfahrungen müssen lediglich kompatibel (verträglich) genug sein. Wenn einer von beiden noch nie am verabredeten Ort gewesen ist, reichen Erfahrungen, die mit den sprachlichen Zeichen (Wörtern) „Ampel“, „Straßenecke“ und „Hausnummer“ verbunden werden, bereits aus.

Verständigung als Kommunikationsziel

Verständigung ist das Ziel von Kommunikationsprozessen. Das Kommunikationsziel Verständigung ist wiederum die Voraussetzung dafür, gemeinsam Probleme lösen zu können, die über die Verständigung hinausgehen. Diese übergeordneten Problemlösungen lassen sich als Kommunikationszwecke bezeichnen.

Verständigung ist keine Informationsübertragung


Übertragung von Information?

Die Annahme, Verständigung bestehe in einer wechselseitigen Übertragung von Information, wird im alltäglichen kommunikativen Handeln ständig widerlegt.


Situationen, in denen Verständigung schwer zu erreichen ist, können als Widerlegung der „Legende“ über die Informationsübertragung gesehen werden (Peter Janich: Was ist Information?, Frankfurt am Main 2006; mehr dazu hier auf dieser Webseite). Bestünde Verständigung in Informationsübertragung, wären kaum Missverständigung und Misserfolg zu erwarten. Fehler müssten sich dann prinzipiell korrigieren lassen. Wäre dies der Fall, bestünde die Aufgabe der Lehrenden lediglich darin, Schriften zusammenzustellen und auszugeben. Schüler und Studierende würden „Das Wissen“ oder „die Information“ wie Radiogeräte empfangen und in möglichst ungestörter Form wiedergeben.

Schüler und Lehrende würden dabei allerdings nichts lernen, weil sie dann keine Theorien bilden. Bloßen Wiedergabe ist auch möglich, wenn nichts verstanden wurde. (Sie reicht deshalb nicht zum Bestehen von Klausuren aus.)

Fragen